Die Wissenschaft der Helmholtz Forschungsakademie Hessen für FAIR ist so vielfältig aufgestellt, wie in kaum einem anderen ThinkTank dieser Größe. Von der Erforschung von Neutronensternen bis hin zu Krebsforschung ist die Forschung mit Schwerionen ein sehr breites Gebiet.
Die Tumortherapie mit geladenen Teilchen ist eine der vielversprechendsten Anwendungen im Kampf gegen den Krebs. An der bestehenden Forschungsanlage des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung und des derzeit entstehenden internationalen Beschleunigerzentrums FAIR arbeiten die Forscherinnen und Forscher daran, die Methode durch neue Technologien und Behandlungsabläufe weiter zu verbessern und noch schlagkräftiger zu machen. Das neue FLASH-Verfahren ist dabei ein vielversprechender Weg. Ein wichtiger Schritt zur Erforschung der Wirksamkeit dieses Verfahrens mit hochenergetischen Kohlenstoffionen ist nun gelungen. Darüber berichtet ein internationales Forschungsteam unter Leitung der GSI-Biophysik in „Radiotherapy and Oncology“, der offiziellen Zeitschrift der Europäischen Gesellschaft für Therapeutische Strahlenonkologie (European Society for Therapeutic Radiation Oncology, ESTRO) - ein Link zur Originalpublikation anbei. Die Ergebnisse konnten im Rahmen der Experimentierzeit FAIR-Phase 0 gewonnen werden. Insbesondere beteiligt war der HFHF-Wissenschaftler Marco Durante.
Bei FLASH-Experimenten geht es um sehr kurze und sehr hoch-intensive Strahlenimpulse, bei denen die Behandlungsdosis in Zeitskalen von unter einer Sekunde abgegeben wird. Damit markiert der FLASH-Effekt einen potenziellen Durchbruch in der Strahlentherapie, da eine Bestrahlung mit ultrahoher Dosisrate das therapeutische Fenster erheblich erweitern kann. Tatsächlich zeigen präklinische Daten, dass die in weniger als einer Sekunde verabreichte Dosis den Tumor zerstört, aber das umliegende gesunde Gewebe verschont. Während diese Schonung des Normalgewebes bei hohen Dosen und kurzen Bestrahlungszeiten bereits mit Elektronen, Photonen und Protonen nachgewiesen wurde, beschränkten sich die Nachweise mit schweren Ionen wie Kohlenstoff bisher auf In-vitro-Zellexperimente. Nun konnte die Wirksamkeit der neuen FLASH-Strahlentherapie mit hochenergetischen Kohlenstoffionen, die mit ultrahoher Dosisleistung verabreicht werden, erstmals auch in lebenden Organismen unter Beweis gestellt werden.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, zu denen neben dem Leiter der GSI-Abteilung Biophysik und Mitglieder der HFHF, Professor Marco Durante, und seinem Team auch Forschende der University of Naples Parthenope sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums DKFZ und der Universität Heidelberg gehören, stellen in ihrer aktuellen Veröffentlichung diese ersten In-vivo-Ergebnisse vor. Das Forschungsteam um Hauptautor Dr. Walter Tinganelli (GSI) hat gezeigt, dass ein 150-Millisekunden-Impuls mit hochenergetischen Kohlenstoffionen die Toxizität für normales Gewebe im Vergleich zu konventioneller Bestrahlung mit mehr als einer Minute reduziert und den Krebs (in diesem Fall ein Osteosarkom der Maus) abtötet. Darüber hinaus stellten die Forscher mit Überraschung fest, dass die FLASH-Bestrahlung die Zahl der vom Primärtumor gebildeten Lungenmetastasen verringert. FLASH mit Kohlenstoffionen ist also nicht nur in der Lage, das gesunde Gewebe in der Umgebung des Tumorziels zu schonen, sondern kann auch eine systemische Wirkung entfalten, die distale Metastasen zerstören kann.
Professor Durante, anerkannter Experte auf dem Gebiet der Teilchentherapie und erst kürzlich zum Präsidenten der internationalen Organisation „Particle Therapy Co-Operative Group (PTCOG)“ (siehe letzter Blogartikel) gewählt, fasst zusammen: „Wir haben den FLASH-Effekt mit hochenergetischen Kohlenstoff-Ionen zum ersten Mal in vivo nachgewiesen. Die Ergebnisse sind wichtig und sehr nützlich für das Verständnis der FLASH-Mechanismen und für mögliche Anwendungen der Ultrahochdosis-Teilchentherapie im klinischen Bereich. Um diese Laborexperimente in den klinischen Bereich zu übertragen, muss aber noch viel weitere Forschung erfolgen. Ziel ist es dabei immer, die zentrale Frage zu beantworten: Wie soll bestrahlt werden, um die effizientesten, die bestmöglichen Behandlungsmethoden zu bekommen im Kampf gegen den Krebs?“
Auch der Wissenschaftliche Geschäftsführer von GSI und FAIR, Mitglied des Akademierats der Helmholtz Forschungsakademie Hessen für FAIR, Professor Paolo Giubellino, ist erfreut über die vielversprechenden Ergebnisse, die während der Experimentierzeit FAIR-Phase 0 entstanden sind: „Die moderne Radiobiologie wird einen erheblichen Nutzen von Strahlen mit noch höheren Intensitäten haben, wie wir sie an der im Bau befindliche FAIR-Anlage bieten werden. FLASH ist ein erstes Beispiel dafür. Zudem zeigen die vorliegenden Ergebnisse das große Potenzial der Kohlenstoffionentherapie, für die GSI Pionierarbeit geleistet hat. Auch in den nächsten Jahren wird an diesem hoch relevanten Thema weiter geforscht. Bereits die erste Stufe des FAIR-Experimentierprogramms, die FAIR-Phase 0, bietet dafür herausragende Möglichkeiten.“