Manchmal sind sich das Experiment und die Theorie nicht einig. Hier wollen wir ein Beispiel zeigen, wie solch eine Uneinigkeit auflöst und wie wichtig auch die Vernetzung der Bereiche ist. Es geht um eine Messung von Phi-Mesonen, spezielle Teilchen, die in Kollisionen von Atomkernen entstehen. Kürzlich veröffentlichte Forschungsergebnisse warfen ein Rätsel auf, dass für viele Forscherinnen und Forscher unerwartet war und viel Raum für Spekulation bot. Jetzt gibt es eine Antwort aus der Theorie. Aber fangen wir vorne an: Was sind eigentlich Phi-Mesonen?
Phi-Mesonen sind Teilchen, die in extremen Bedingungen, wie sie bei Hochenergie-Kollisionen zwischen Atomkernen entstehen, produziert werden. Sie zerfallen nach einiger Zeit und die Zerfallsprodukte können Aufschluss über das Innere der Kollision geben. Das NA61-Experiment, zusammen mit Daten aus dem NA49-Experiment (jeweils am CERN) hat nun für die Phi-Mesonen die sogenannte Rapidität gemessen. Dies ist, salopp gesagt, so etwas wie die relativistische Geschwindigkeit eines Teilchens entlang der Achse, in der die Kollision stattfand. Die sogenannte Rapiditätsbreite gibt an, wie stark diese „Geschwindigkeiten” variieren.
Das Team der NA61/SHINE-Kollaboration entdeckte, dass die Rapiditätsbreite der Phi-Mesonen bei höheren Energien plötzlich stark zunahm. Dies war sehr überraschend, weil es doch keinen unmittelbaren Grund hierfür gab und man vermutete neue physikalische Phänomene. Dies ist bei Schwerionenkollisionen nicht aussergewöhnlich, insbesondere in diesem Energiebereich - aber bevor man neuartige Physik postuliert muss man natürlich sichergehen, dass man nichts übersehen hat.
Nun hat sich die Gruppe um Marcus Bleicher, einem der Direktoren der Helmholtz Forschungsakademie Hessen für FAIR, diesem Problem zugewandt. Mit dem UrQMD-Modell (Ultra-relativistic Quantum-Molecular-Dynamics) simulierten sie die Kollisionen in diesem Energiebereich und werteten die Simulationen genau wie im Experiment aus.
Das UrQMD-Modell ist ein Werkzeug, das hilft, die komplexen Vorgänge in Hochenergie-Kollisionen besser zu verstehen. Hier kann man im Computer nachvollziehen, wie Kern-Kern-Kollisionen ablaufen und kann Parameter bewusst verändern. So kann man dann auch bestimmte Effekte an- und abschalten.
Mit diesem Modell konnten die Forscher zeigen, dass der steile Anstieg der Rapiditätsbreite bei höheren Energien nicht auf neue physikalische Entdeckungen zurückzuführen sei. Stattdessen fanden sie heraus, dass das Zusammenspiel zweier Faktoren diese vermeintliche Anomalie erklärt:
Zum einen war es die begrenzte Detektorakzeptanz. Die gibt letztlich an, inwieweit der Detektor die Teilchen überhaupt messen kann. Ganz banal ausgedrückt: Da wo kein Detektor steht, kann auch nicht gemessen werden. Üblicherweise wird mittels anderen experimentellen Daten extrapoliert, wie die volle Kollision aussah. Die Detektoren, die im NA61-Experiment eingesetzt werden, können nicht alle Phi-Mesonen erfassen, besonders jene, die in extremen Winkeln zur Kollisionsachse fliegen. Dadurch entsteht nun aber eine Verzerrung der gemessenen Rapiditätsverteilung.
Für die Analyse wurde mit einer sogenannten gaußschen Verteilung (eine bestimmte Art von Wahrscheinlichkeitsverteilung, auch bekannt als Glockenkurve) extrapoliert. Dies ist aber für Phi-Mesonen nicht korrekt und verzerrt das Ergebnis dann noch mehr.
Wenn man diese Effekte korrekt berücksichtigt, dann zeigt es sich, dass der Effekt wieder im erwarteten Rahmen eintritt. Was zunächst wie eine aufregende neue Entdeckung aussah, stellte sich als technisches Artefakt heraus.
Viel wichtiger ist jedoch ein ganz anderer Effekt — jenseits der inhaltlichen Ebene zeigt das Hin und Her zwischen Experiment und Theorie wie wichtig Vernetzung in der Wissenschaft ist. Gerade hier trägt die Helmholtz Forschungsakademie Hessen für FAIR einen wichtigen Beitrag bei und sorgt in den jeweiligen Bereichen für mehr wichtigen Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.