In einem neuen Paper stellen Wissenschaftler des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung, der Technischen Universität Darmstadt, des Max-Planck-Instituts für Astrophysik, sowie der Helmholtz Forschungsakademie Hessen für FAIR einen neuen Prozess zur Entstehung seltener Atomkerne im Universum vor.
Dieser neue Prozess, genannt vr-Prozess, könnte Antworten auf lang bestehende Fragen der Nukleosynthese liefern. Eine kleine Anmerkung sei hier eingeworfen - v ist nicht wirklich der Buchstabe v, sondern das Symbol für den griechischen Buchstaben nu (gesprochen nü), der als Abkürzung für Neutrinos steht. Die meisten Browser können ihn nur leider nicht richtig darstellen, von daher muss es das v tun.
Aber warum ist das überhaupt spannend?
Seit Jahrzehnten ist die Wissenschaft auf der Suche nach Erklärungen für die Entstehung bestimmter seltener Isotope, auch bekannt als p-Kerne. Diese kommen zwar im Sonnensystem vor, ihr Ursprung war jedoch bislang unklar. Die neuen Erkenntnisse könnten das Rätsel um die Entstehung von p-Kernen wie 92Mo und 94Mo (Molybdän) sowie 92Ru und 98Ru (Ruthenium) endlich lösen. p-Kerne sind protonenreiche Kerne, deren Existenz nicht mittels bisheriger Modelle erklärt werden konnte. Hier kommt nun der vr-Prozess in’s Spiel.
Der vr-Prozess tritt auf, wenn neutronenreiches Material sehr intensiver Neutrinobestrahlung ausgesetzt ist. Diese Bedingungen können in astrophysikalischen Explosionen, wie z.B. Supernovae, auftreten. Zu Beginn bestehen diese Ausströmungen aus Neutronen und Kernen im Bereich von Eisen und Nickel. Wenn die Temperatur sinkt, führen Neutrino-Absorptionsreaktionen zur Bildung schwererer Kerne.
Im Gegensatz zum schnellen Neutroneneinfangprozess, bei dem Betazerfälle die dominierende Rolle spielen, sind beim vr-Prozess Neutrino-Absorptionsreaktionen entscheidend. Diese Reaktionen wandeln die in den Kernen gebundenen Neutronen in Protonen um, was zur Entstehung neuer, schwererer Kerne führt. Die emittierten Teilchen, wie Neutronen, Protonen und Alphateilchen, werden von anderen Kernen eingefangen, was eine Kaskade von Einfangreaktionen auslöst. Dadurch entsteht eine Vielzahl neuer Elemente, die durch den vr-Prozess erzeugt werden können.
Die Entdeckung des νr-Prozesses ist bahnbrechend, da er die gleichzeitige Produktion verschiedener seltener Kerne ermöglicht. „Unsere Entdeckung eröffnet eine neue Möglichkeit, die Entstehung von p-Kernen durch Neutrino-Absorptionsreaktionen zu erklären“, sagt Zewei Xiong, Postdoc in der Arbeitsgruppe von HFHF-Wissenschaftler Gabriel Martinez-Pinedo und einer der Hauptautoren der Studie.
Ein weiterer faszinierender Aspekt dieser Forschung ist die mögliche Verbindung zu speziellen astrophysikalischen Ereignissen. Die Wissenschaftler vermuten, dass der vr-Prozess in Umgebungen mit starken Magnetfeldern abläuft, wie sie bei magneto-rotierenden Supernovae, Kollapsaren oder Magnetaren vorkommen. Erste Untersuchungen zeigen, dass magnetisch getriebene Massenauswürfe tatsächlich die notwendigen Bedingungen für den vr-Prozess schaffen könnten.
Die Entdeckung des vr-Prozesses markiert einen wichtigen Meilenstein in der Nuklearphysik und Astrophysik. Sie bietet eine plausible Erklärung für die Entstehung seltener Atomkerne und könnte dazu beitragen, einige der tiefsten Geheimnisse des Universums zu lüften. Die HFHF ist stolz hier einen Beitrag geleistet zu haben.
Originalpublikation: https://journals.aps.org/prl/abstract/10.1103/PhysRevLett.132.192701