Helmholtz Forschungsakademie Hessen für FAIR

Entdeckung des Tetra-Neutrons
Schematische Darstellung von Atomkernen

Entdeckung des Tetra-Neutrons

Atomkerne bestehen üblicherweise aus einigen Protonen und einigen Neutronen. Die Anzahl der Protonen legt den Platz im Periodensystem fest. Aber was wäre, wenn ein Kern nur aus Neutronen bestehen würde?

Genau diese Frage stellte sich das internationale Team, an dem neben der TU Darmstadt und dem GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung auch die TU München und das RIKEN Nishina Center in Japan beteiligt waren.

Gemeinsam führte die Kollaboration das entsprechende Experiment an der Beschleunigeranlage für radioaktive Strahlen (RIBF) am RIKEN-Forschungszentrum in Japan durch. Das Experiment lieferte ein zweifelfreies Signal für die erste Beobachtung eines Tetra-Neutrons und die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.

Abgesehen von Neutronensternen (die ca. einen Durchmesser von von 10km haben) sind es nun die einzigen bekannten stabilen Zustände von mehreren Neutronen. Während Neutronensterne durch die massive Gravitation zusammengehalten werden, ist es im System des Tetra-Neutrons die starke Kraft, die die Neutronen zusammenhält.

Die Erforschung von Systemen, die nur aus Neutronen bestehen ist extrem wichtig, um die starke Kernkraft genauer zu vermessen. Gleichzeitig helfen diese Ergebnisse auch astrophysikalische Objekte, wie eben Neutronensterne oder auch andere Sterne, besser zu verstehen. Theoretisch ist die Idee einen Tetra-Neutrons nicht neu. Allerdings führten hier verschiedene Modelle zu unterschiedlichen Ergebnissen. Durch die Messung könnten auch die theoretischen Modelle präziser formuliert werden, was wiederum die nächste Generation von Experimenten besser werden lässt.

“Dieser experimentelle Durchbruch liefert einen Referenzwert für die Theorie zum Verständnis der Wechselwirkungen von reinen Neutronen-Verbünden und damit auch der Eigenschaften neutronenreicher Kerne“, sagt Dr. Meytal Duer vom Institut für Kernphysik (IKP) an der TU Darmstadt. “Die nukleare Wechselwirkung zwischen mehr als zwei Neutronen konnte bisher nicht experimentell geprüft werden, während theoretische Vorhersagen zu sehr verschiedenen Ergebnissen führen. Wir planen nun ein Experiment der nächsten Generation an der R3B-Anlage bei FAIR, mit dem die direkte Messung der Korrelationen zwischen den vier Neutronen mit dem R3B-NeuLAND-Detektor möglich sein wird. Dies wird neue Erkenntnisse über die Natur dieses Vier-Neutronen Systems liefern.”

Die experimentelle Basis der Arbeit ist nahezu elegant. Da man Neutronen weder beschleunigen kann (sie sind schliesslich elektrisch neutral) und auch keine Targets aus Neutronen bauen kann, die man mit anderen Teilchen beschiessen kann, müssten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Trickkiste greifen.

Um ein System mit mehreren Neutrinen so zu erzeugen, dass die Neutronen untereinander über die sehr kurzreichweitige Kernkraft (wenige Femtometer, ca. der Radius einen kleinen Atomkerns) in Wechselwirkung treten können, wurden Reaktionen eingesetzt. Das heisst das System wurde nicht in Ruhe beobachtet, sondern durch die Reaktion von anderen Systemen erzeugt. Die große Gefahr, dass die Wechselwirkung der Neutronen mit anderen an der Reaktion beteiligten Teilchen das eigentliche Signal verändert oder unsichtbar macht, wurde hier durch den Einsatz eines hochenergetischen Helium-Strahls (in diesem Fall 8He) gelöst. Der 8He-Kern besteht aus einem kompakten Alpha-Teilchen, das von den vier Neutronen mit geringerer Dichte umgeben wird. Das Alpha-Teilchen wird nun in einer schnellen Reaktion mit großem Impulsübertrag durch Stoß mit einem Proton des Flüssigwasserstoff-Targets aus dem 8He-Kern herausgeschossen: Die verbleibenden vier Neutronen sind plötzlich frei und alleine und können untereinander wechselwirken.

“Schlüssel zur erfolgreichen Entdeckung des Tetra-Neutrons waren die gewählte Reaktion und die gewählte Kinematik mit hohem Impulsübertrag, die die Neutronen von den geladenen Teilchen im Impulsraum unverzüglich separiert“, sagt Professor Dr. Thomas Aumann vom IKP der TU Darmstadt. „Dies hat eine fast untergrundfreie Messung ermöglicht. Wir planen nun dieselbe Reaktion, aber mit einem 6He-Strahl, um die Neutron-Neutron Wechselwirkung bei kleinen Energien präzise zu messen. Ein dafür geeigneter Neutronen-Detektor wird im Moment an unserer Universität gebaut.”

Die Helmholtz Forschungsakademie gratuliert dem Team um Prof. Dr. Tom Aumann zu diesem bahnbrechenden Ergebnis. Die Arbeit wurde des Weiteren unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des SFB 1245.


Originalartikel: https://www.nature.com/articles/s41586-022-04827-6

Detektor Tetra-Neutron
Entdeckung des Tetra-Neutrons