Helmholtz Research Academy Hesse for FAIR

Interview mit Nora Brambilla

Interview mit Nora Brambilla

Liebe Frau Brambilla, Sie sind Professorin für theoretische Hadronenphysik an der TU München — wie sieht ihr Arbeitsalltag als theoretische Physikerin aus?

Die Arbeit als Teilchenphysiker ist jeden Tag ein neues Abenteuer! Das Nachdenken darüber, wie man die starke Wechselwirkung von Quarks und Gluonen und ihr Verhalten in verschiedenen Umgebungen beschreiben kann, bringt immer neue Ideen. Und tatsächlich können einige der Methoden, die wir zur Untersuchung exotischer schwerer Zustände entwickelt haben, für komplexe Systeme in der Molekularphysik verwendet werden. Der Rahmen für offene Quantensysteme, den wir entwickelt haben, um die Nichtgleichgewichtsausbreitung von Quarkonium in einem Medium zu untersuchen, ist nützlich für Studien über dunkle Materie im frühen Universum und lässt sich sehr gut mit Quantenoptik und kondensierter Materie verbinden.

Die Untersuchung der Eigenschaften des Quarkeinschlusses mit theoretischen Methoden beschäftigt uns sehr und ist so herausfordernd, dass wir eine spezielle QCD-Gitter-Kollaboration mit dem Namen TUMQCD ins Leben gerufen haben, um dieses Problem zu lösen. Das Schöne daran ist, dass wir bei diesem Unterfangen mit vielen lebhaften und brillanten Forschern zusammenarbeiten, vom Bachelor über den Master bis hin zum Doktoranden und Postdoc. Durch die kontinuierliche Lehre stehe ich in ständigem Kontakt mit den Studenten und viele von ihnen fühlen sich von der Teilchen- und Kernphysik angezogen. Unsere Arbeit findet auf sehr internationalem Niveau statt, wie es für die Teilchenphysik charakteristisch ist.

Wir arbeiten routinemäßig mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt zusammen, wobei wir am selben Tag von den USA nach China und von Japan nach Europa reisen. Um neue Ideen zu entwickeln bzw. zu verfolgen, konzipiere ich oft neue Workshops/Konferenzen und Schulen. In diesem Jahr habe ich in Norwegen die 15. Auflage der von mir gegründeten großen Quark-Confinement-Konferenzreihe und die 15. Auflage der ebenfalls von mir gegründeten internationalen Quarkonium-Arbeitstagung an der GSI organisiert. Hier auch zusammen mit der HFHF und insbesondere mit Frank Nerling, der vor Ort hervorragende Arbeit geleistet hat.

Nächstes Jahr werde ich ein neues Projekt mit der Anwendung des maschinellen Lernens auf die Gitter-QCD und einen entsprechenden Workshop in München starten und die dritte Ausgabe der internationalen Schule an der Schnittstelle von effektiver Feldtheorie und Gitter in Bad Honnef, die ich 2017 in München begonnen habe. Darüber hinaus muss ich Fördermittel beantragen, Förderanträge auswerten, in Gremien mitarbeiten, viel Verwaltungsarbeit leisten, mich um Öffentlichkeitsarbeit kümmern, Papiere schreiben und auswerten. Ich würde mich freuen, wenn die Verwaltungsarbeit weniger und effizienter wäre, während es scheint, dass es in die andere Richtung geht.

Oft ist es ja der Vergleich zwischen Theorie und Experiment, der am Ende das physikalische Verständnis voranbringt — wo sehen Sie hier die Chancen für FAIR und natürlich insbesondere für PANDA?

Wir brauchen PANDA und FAIR sehr, sehr dringend, und zwar so schnell wie möglich.

Als Theoretiker ist es Ihre Aufgabe, die theoretischen Werkzeuge zu konstruieren, die es Ihnen ermöglichen, Experimente zu verstehen. Experimente sind die ultimative Überprüfung unserer theoretischen Konstruktionen. Wenn man sich das sehr aktuelle Forschungsgebiet der exotischen X-Y-Z-Zustände anschaut und in der Literatur nachschaut, wie viele verschiedene Theoriemodelle es gibt, wird man überrascht sein. Wir brauchen eine experimentelle Überprüfung, um all diese Modelle gemäß Occams Rasierklinge zu eliminieren und die richtige Theorie zu finden. PANDA wird zu diesem Zweck dringend benötigt. Es wird ein sehr effizientes Experiment für eine Reihe von Eigenschaften sein, die wir mit den derzeitigen Experimenten am LHC und an den B- und Tau-Charm-Fabriken nicht testen werden können. Wir werden wieder eine Antiprotonenquelle haben, was an sich schon eine große Errungenschaft ist und ein riesiges Zukunftspotenzial birgt.

Gibt es Dinge, die wir nur mit PANDA messen können?

PANDA ist einzigartig. Zunächst einmal ist es ein Experiment mit dem erklärten Ziel, die vielen noch unverstandenen Eigenschaften stark wechselwirkender Teilchen, den Einschluss von Quarks und das Verhalten von Hadronen in der Materie zu untersuchen. Dieser Bereich ist heutzutage von zentraler Bedeutung, da er der Schlüssel ist, um zu verstehen, wie sich stark korrelierte Systeme in dem einzigen Beispiel der Teilchenphysik verhalten, das wir derzeit in der Natur haben, d.h. stark wechselwirkende Teilchen.

Viele Szenarien für die Physik jenseits des Standardmodells sind stark gekoppelt, aber sie sind noch unentdeckt, und die Physik des frühen Universums erfordert ein tiefes Verständnis des Verhaltens von Teilchen im Medium, so dass die Auswirkungen sehr weitreichend sind. Bedenken Sie auch, dass keines der Experimente, die eine außergewöhnliche Flut von Entdeckungen über neue exotische schwere Hadronen geliefert haben, zu diesem Zweck gebaut wurde!

Sie wurden alle gebaut, um nach neuer Physik zu suchen und die CP-Eigenschaften der Materie zu testen. Sie können sich vorstellen, was wir mit einem speziellen Experiment erreichen können. PANDA wird in der Lage sein, einzigartige Messungen vorzunehmen, wie z. B. eine noch nie dagewesene Messung der Eigenschaften des X-Mesons. Damit können wir viele Modelle eliminieren, die aktuell noch alle die Daten beschreiben.

Zu den kürzlich entdeckten exotischen Mesonen gehören noch keine Glueballs. Die in PANDA geschaffene Umgebung wird sehr günstig sein, um gluonische Anregung zu erzeugen und zu messen, seien es Glueballs oder gar Hybride.

Die Messung von Hadronen im Medium wird uns wichtige Erkenntnisse über das “confinement” der QCD und das Verhalten des Phasendiagramms der Kernmaterie liefern. Wir Theoretiker freuen uns darauf, dass PANDA so bald wie möglich in Betrieb genommen wird!

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der Helmholtz Forschungsakademie Hessen für FAIR?

Die Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der Helmholtz Forschungsakademie Hessen für FAIR ist großartig. Wir freuen uns alle sehr auf FAIR und arbeiten intensiv mit den HFHF-Wissenschaftlern zusammen, um dieses Unternehmen in jeder Hinsicht vorzubereiten. Wir sind dankbar, dass die Helmholtz-Gemeinschaft im Zentrum dieses Vorhabens steht, und wir würden uns wünschen, dass es in ganz Deutschland mehr dieser ThinkTanks gäbe. In München zum Beispiel gibt es keine Helmholtz-Beteiligung an der Teilchen- und Kernforschung, was ich sehr schade finde, hier ist Hessen einen Schritt weiter.

Wo sehen Sie die Hadronenphysik in Deutschland in 10 Jahren?

Wir müssen abwarten, wie sich die Dinge weiterentwickeln werden. Ich habe erklärt, warum FAIR und PANDA eine so wichtige Rolle in der Teilchenphysik und in vielen benachbarten Forschungsbereichen spielen. Deshalb müssen sie unterstützt und priorisiert werden, und wir müssen dafür sorgen, dass der Bau so schnell wie möglich abgeschlossen wird und die Experimente so schnell wie möglich beginnen können.

FAIR und PANDA werden dafür sorgen, dass Deutschland im Zentrum der internationalen Forschung in der Hadronenphysik bleibt, und sie werden als gewaltiger Katalysator wirken, um die besten Wissenschaftler aus der ganzen Welt anzuziehen. FAIR wird ein sehr wichtiger Bezugspunkt für Forschung und Ausbildung in Deutschland und in der Welt werden. Schon jetzt zieht FAIR viele talentierte Studenten aus den deutschen Schulen an, um hier ein Praktikum zu absolvieren. Wir brauchen brillante Forscher, wenn wir es uns leisten wollen, auf dem heutigen Niveau zu leben. China baut neue Beschleunigerexperimente, darunter den chinesischen Elektronen-Ionen-Collider, mit einigen ergänzenden Bereichen. Wir sollten nicht zulassen, dass all diese anderen Forschungsvorhaben vor unseren fertiggestellt werden. Das Verständnis für die Schlüsselrolle der Wissenschaft sagt viel über ein Land aus.

Mit FAIR hat Deutschland sicherlich die Chance, eine führende Rolle in der Hadronenphysik zu übernehmen. Mit der HFHF ist Hessen hier natürlich essentiell wichtig.

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